Das Erschrecken war groß als am 13. März 2016 die AfD 15,1% der Stimmen abräumte und damit 23 Landtagssitze, davon zwei Direktmandate erhielt. Zeit sich die AfD in Baden-Württemberg einmal näher anzuschauen.
Geschichte der Südwest-AfD
Nach seiner Gründung 2013 galt der AfD-Landesverband mehrheitlich als eher gemäßigt innerhalb des AfD-Spektrums. Bernd Kölmel aus Ötigheim bei Rastatt, der seit November 2013 AfD-Landessprecher war, ist bis heute ein Anhänger Luckes. Er wurde 2014 für die AfD in das Europa-Parlament gewählt. Als Bernd Lucke den innerparteilichen Machtkampf im Juli 2015 verlor, verließ Kölmel mit Lucke die Partei. Sie gründeten die „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ (ALFA). Die ab November 2016 in „Liberal-Konservative Reformer“ (LKR) umbenannt wurde.
Mit Kölmel verließen in Baden-Württemberg mehrere hundert Personen die AfD, darunter auch zahlreiche Mandats-TrägerInnen. Der im August 2015 gegründete Landesverband der ALFAhatte im April 2016 nach Eigenangabe rund 550 Mitglieder. Bei den Landtagswahlen erhielt ALFA lediglich 1% der Stimmen.
Ende 2015 wurde unter dem Titel „Für unser Land – für unsere Werte“ ein eigenes Landesparteiprogramm für die Landtagswahl im März 2016 verfasst. In ihm werden deutlich rechtsradikale Töne angeschlagen. Unter anderem heißt es dort aus Seite 17: „Eine unheilvolle Koalition aus dem Kartell der Altparteien und den Medien versucht, die Bevölkerung zu manipulieren, um ihre utopischen Vorstellungen von einem „Schmelztiegel Deutschland“ durchzusetzen. Angesichts über einer Million teilweise unkontrollierter Zuwanderer pro Jahr wähnen sie sich ihrem Ziel nahe.
Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien, allen voran die Bundeskanzlerin, ziehen alle Register der Massenpsychologie und Massensuggestion, um die Bevölkerung zu täuschen. Sie werden darin von einer weitgehend gleichgeschalteten Medienlandschaft unterstützt. Frau Merkel schließt eine Obergrenze der Zuwanderung aus, und begründet das mit „humanitären Verpflichtungen“. Verpflichtungen gegenüber der Zukunft des eigenen Volkes sind ihr unbekannt. Sie lockt damit hunderte Millionen Armutsflüchtlinge nach Deutschland. Wird dieser Zustrom nicht gestoppt, so ist das Ende der deutschen und europäischen Kultur besiegelt. Die Zukunft unseres Landes und unserer Kinder darf nicht derart verantwortungslosen politischen Hasardeuren überlassen werden.“
Nach der Wahl 2016 zogen 23 Personen für die AfD in den Landtag von Baden-Württemberg. Nachdem an die Öffentlichkeit gelangt war, dass mit Wolfgang Gedeon aus Singen einer dieser neuen Abgeordneten in seinen Bücher antisemitische Mythen vertritt, kam es zum Bruch innerhalb der neuen Landtagsfraktion. An der Causa Gedeon entzündete sich ein Streit, der schließlich zur Spaltung führte. Da Meuthen keine 3/4-Mehrheit für einen Fraktionsausschluss Gedeons zusammen bekam, verließ er mit 13 anderen die Fraktion und gründete die Fraktion „Alternative für Baden-Württemberg“.
Die Bundesvorsitzende Frauke Petry intervenierte ungebeten in Baden-Württemberg und konnte Gedeon zwar zum Austritt bewegen, aber die Spaltung war vorerst zementiert. Petrys Eingreifen geschah offiziell zum Wohl der Partei. Inoffiziell wollte sie aber ihren innerparteilichen Gegner Meuthen schwächen, indem sie die Anti-Meuthe-Fraktion unterstützte.
Im Oktober 2016 kam es nach zähen Verhandlungen zu einer Wiedervereinigung der beiden Fraktionen. Meuthen verstieß damit gegen seine lauthals verkündete Entscheidung mit Antisemiten und ihren UnterstützerInnen nicht zusammenarbeiten zu wollen.
Im Dezember 2016 trat schließlich die AfD-Landtagsabgeordnete Claudia Martin aus Walldorf aus ihrer Partei aus und begründete das mit dem rechtspopulistischen Kurs ihrer ehemaligen Partei.
Auch durch die Abspaltung des Lucke-Flügels bedingt ist die Struktur der AfD in Baden-Württemberg noch sehr lückenhaft. Manche Gebiete können nur durch nur durch Doppelkreisverbände abgedeckt werden, manche haben keine eine eigene Facebook-Präsenz und auf der Homepage der Landes-AfD sind bei weitem nicht alle Veranstaltungstermine angegeben. Auch der Newsletter an Mitglieder und SympathisantInnen wird eher sporadisch verschickt.
Eine eigene Mitgliederzeitung scheint es ebenfalls nicht zu geben. Verhältnismäßig wenige Abgeordnete haben bisher eigene Büros eröffnet. Im April 2017 gab es lediglich AfD-Büros in Heilbronn, Ulm, Pforzheim, Stuttgart, Singen, Tauberbischofsheim und Balingen-Weilstetten.
Woher kommen die Mitglieder?
Der baden-württembergische AfD-Landesverband hatte nach Eigenbekunden am 31. Dezember 2016 3.755 „Mitglieder und Fördermitglieder“. Tendenz steigend.
Bisher finden sich erstaunlich wenig alte Bekannte von den Republikanern in den Reihen der FunktionärInnen der Südwest-AfD wieder. Bei weitem mehr AfD-Kader haben eine Vergangenheit bei den Freien Wählern, der SPD, der CDU und der FDP. Dort waren sie zumeist beim rechten Flügel aktiv. Zu diesen Nationalkonservativen und Nationalliberalen gesellen sich radikale AnhängerInnen eines freien Marktes, die vor allem über die Euro-Thematik zur Partei gefunden haben.
Nicht alle haben mit Lucke die Partei verlassen. Meuthen wird beispielsweise diesem Flügel zugerechnet, obwohl sich sein rechter Tonfall verschärft hat.
Weitere wichtige AfD-FunktionärInnen kommen aus den Reihen rechtsklerikaler Kleinstparteien (Zentrumspartei, AUF, PBC), aus dem korporierten Milieu, aus SpätaussiedlerInnen-communitys, aus antimuslimisch-rassistischen Organisationen, von lokalen Initiativen gegen Flüchtlingsunterbringungen und rassistisch aktivierte KleinbürgerInnen, die vorher politisch nicht weiter auffällig geworden sind.
In der Partei existiert in Baden-Württemberg ein starker christlich-konservativer bis -fundamentalistischer Flügel. Dieser sammelt sich im Regionalverband Süd der Bundesvereinigung „Christen in der AfD“ (ChrAfD) und zuvor im „Pforzheimer Kreis“ und im „Arbeitskreis Christen Baden-Württemberg“.
Die rechten Hardliner der AfD organisieren sich in der „Patriotischen Plattform Baden-Württemberg“ und in der internen Facebook-Gruppe „derfluegel-bw“. Als „Der Flügel“ bezeichnen sich die UnterzeichnerInnen der „Erfurter Resolution“. In dieser von Björn Höcke initiierten Resolution wird die AfD als „Bewegung unseres Volkes gegen die Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte“ und als „Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“ bezeichnet.
Auf diesem Flügel sind auch die Neuen Rechten in der AfD zu finden, die sich an thinktanks wie dem „Institut für Staatspolitik“ orientieren. Zum Beispiel besuchten Mitglieder der „Jungen Alternative Freiburg/Breisgau-Hochschwarzwald“ besuchten vom 28. bis 30. August 2015 die 16. Sommerakademie des „Instituts für Staatspolitik“ in Schnellroda zum Thema „Machbarkeit“. Die extrem rechten „Identitären Bewegung“ (IB) kann dem radikalen Flügel der Neuen Rechten zugeordnet werden. Besonders in der AfD-Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ scheinen IB-AktivistInnen angedockt zu haben. So referierte beispielsweise am 30. März 2014 in „Sophies Brauhaus“ in Stuttgart der neurechte Vordenker Felix Menzel für die „Junge Alternative Baden-Württemberg“ zum Thema „Junges Europa statt Brüsseler Zentralismus“. Es nahmen auch Identitäre aus Stuttgart und Ellwangen an der Veranstaltung teil.
Die eher gmäßigt neurechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ ist dagegen für alle Strömungen ein Bezugspunkt. Am 17. Juni 2016 fand in Holzgerlingen (Kreis Böblingen) der Vortrag „Konservative Publizistik und Massenmedien – Erfahrungen eines widerständigen Verlegers“ mit Dieter Stein, Herausgeber der ultrarechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“, statt. Veranstalter war der AfD-Kreisverband Böblingen. Der Landesvorsitzende Jörg Meuthen wird von der JF regelrecht protegiert.
Dass sich auf geleakten Listen von TeilnehmerInnen von AfD-Parteitagen auch Namen von geleakten KundInnen-Listen von Neonazi-Versänden wiederfinden, zeigt dass durchaus auch Personen mit Neonazi-Vergangenheit bei der AfD aktiv sind. Das ist auch vereinzelt in Baden-Württemberg der Fall.
Auf dem Weg zum Bundestag: Die baden-württembergischen AfD-KandidatInnen
Die AfD tritt in Baden-Württemberg zur Bundestagswahl im September 2017 sowohl mit einer Liste als auch mit DirektkandidatInnen in den einzelnen Wahlkreisen an. An dieser Stelle sollen kurz die ersten neun Listen-KandidatInnen vorgestellt werden:
Die Internet-Unternehmerin Alice Weidel aus Überlingen ist seit 2015 Mitglied im AfD-Bundesvorstand und leitete bis Januar 2016 die Bundesprogrammkommission der Partei. Sie ist Mitglied der Hayek-Gesellschaft und wird dem wirtschaftsliberalen Flügel zugerechnet. Im Gegensatz zum Mainstream ihrer Partei tritt sie auch für eine Westbindung ein. Sie schreibt inzwischen gelegentlich für die ultrarechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“.
Zusammen mit Alexander Gauland bildet sie das Spitzenteam zur Bundestagswahl.
Maier war bis 2002 Mitglied der SPD. Er lehrte bis 2009 als Professor Verbraucherpolitik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und war Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Hamburg. Er ist seit Ende Juli 2015 Landessprecher der AfD in Baden-Württemberg. Zusätzlich ist er Sprecher des AfD-Kreisverbandes in Stuttgart und sitzt für die Partei im Stadtrat von Stuttgart.
Marc Jongen aus Karlsruhe kommt ursprünglich aus der mehrheitlich deutschsprachigen Provinz Südtirol in Italien. Er ist Dozent für Philosophie an der „Hochschule für Gestaltung“ in Karlsruhe und war Assistent von deren Rektor Peter Sloterdijk.
Seit seit Juli 2015 ist er stellvertretender AfD-Landessprecher in Baden-Württemberg und Programmkoordinator der AfD Baden-Württemberg, sowie Mitglied der Bundesprogrammkommission seiner Partei.
Jongen hat sich organisatorisch und inhaltlich der Neuen Rechten angenähert. Er schreibt für die „Junge Freiheit“ und referiert für das „Institut für Staatspolitik“ in Schnellroda.
Markus Frohnmaier aus Weil der Stadt studiert in Tübingen Rechtswissenschaften. Er ist seit November 2013 Beisitzer des AfD-Landesverbandes. Er war Landesvorsitzender der AfD-Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ (JA). Inzwischen ist er der JA-Bundesvorsitzende. Ursprünglich war Frohnmaier dem konkurrierenden Flügel um Björn Höcke zuzurechnen. Zeitweise arbeitet er aber als Pressesprecher für die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry, eine erklärte Höcke-Gegnerin. Später wechselte er als Pressesprecher zu Alice Weidel.
Zwar war Frohnmaier ursprünglich CDU-Mitglied, er war aber offenbar auch Mitglied in antimuslimischen Organisationen der extremen Rechten aktiv, u.a. der „German Defence League“. Frohnmaier gilt als international gut vernetzt und als vehementer Fürsprecher eines Pro-Putin-Kurses.
Thomas Seitz aus Kippenheim ist Staatsanwalt am Freiburger Amtsgericht. Er war 2011 für ein dreiviertel Jahr Mitglied in der rechtspopulistischen Kleinstpartei „Die Freiheit“. Seitz soll den Südwest-Ableger von PEGIDA mit initiiert haben.
In der AfD ist er Mitglied im Bundesparteischiedsgericht und Mitglied der „Patriotischen Plattform“.
Er forderte am 21. Oktober 2015 bei einer Podiumsdiskussion in Lahr für den Einsatz von Schusswaffen gegen Flüchtlinge an der Grenze
Jürgen Braun kommt aus Kirchberg an der Murr.
Martin Hess aus Bietigheim-Bissingen ist Polizeibeamter. Er ist seit Oktober 2016 Sprecher des Kreisverbandes Böblingen. Zusätzlich zur Liste kandidiert er noch im Kreis Ludwigsburg.
Volker Münz aus Uhingen war Vorstandssprecher des Kreisverbands Göppingen. Er ist Mitglied des „Pforzheimer Kreis“ und der „Christen in der AfD“, sowie Unterzeichner der „Erfurter Resolution“.
Im Jahr 2013 warnte er vor einem Bürgerkrieg in Deutschland.
Marc Bernhard aus Karlsruhe ist Geschäftsführer der INIT GmbH Karlsruhe. Für die AfD sitzt er im Stadtrat von Karlsruhe. Früher war er Mitglied in der CDU, die er 2011 verließ.
Fazit: Die AfD in Baden-Württemberg vor der Bundestagswahl 2017
Die AfD hat im Südwesten das Erbe der Republikaner-Partei angetreten. Im Gegensatz zu dieser verfügen sie aber über einen stärkeren Stamm an AktivistInnen, also an Personen, die z.B. für sie als Partei Wahlkampf machen. Trotzdem hat die AfD in Baden-Württemberg weniger den Charakter einer Bewegungspartei als in anderen Bundesländern. Bis auf ganz wenige Ausnahmen hat die Partei im Südwesten keine eigenen Demonstrationen organisiert.
Diese Entscheidung sollte mutmaßlich Angriffsfläche vermindern. Bei AfD-Demonstrationen wird schnell sichtbar, welches Klientel die AfD-Agenda auch anspricht, z.B. Neonazis.
Die AfD ist gut aufgestellt für die kommende Bundestagswahl im Herbst. Was ihr auf die Füße fallen könnte, sind die innerparteilichen Grabenkämpfe, die auch mit der Abspaltung des Lucke-Flügels nicht zum Erliegen gekommen sind. Die AfD beeindruckte nach ihrer Wahl in den Stuttgarter Landtag mit einer Fraktionsspaltung, die mehrere Monate anhielt. Auch nach der Wiedervereinigung der beiden AfD-Fraktionen ist der Riss nur notdürftig gekittet. In der ehemaligen AfD-Rumpffraktion finden sich weiterhin Gedeon-SympathisantInnen, was diese zum Beispiel durch Applaus für Gedeons Redebeiträge im Landtag unterstreichen. Unklar ist, ob Meuthen seine Truppe nach der Wiedervereinigung tatsächlich unter Kontrolle hat. Vermutlich eher nicht. Die AfD-Aussteigerin Claudia Martin berichtete davon, dass sich Meuthen dem Druck des rechten Parteiflügels immer stärker gebeugt hat.
Die Spannbreite an Strömungen und persönlichen Macht-Ambitionen wird nur über Feindbilder und den damit verbundenen Nationalismus und Wohlstandchauvinismus als einigendes Band zusammen gehalten. Das bietet auch Ansätze für Brüche und Risse, welche auch durch antifaschistische Intervention über Recherche verstärkt werden können.