Ende 2012 schwappte aus Frankreich die „Identitäre Bewegung“ (IB) als neue Marke und als neues Konzept extrem rechter Organisierung auch nach Deutschland. Im Nachbarland entstanden die Identitären bereits 2002/03 aus der Fusion zweier extrem rechter Gruppen. Im Selbstverständnis sind die Identitären eine „Bewegung“ bzw. eine „Generation“, in Wirklichkeit sind sie aber eine europaweite Organisation mit einigen tausend AktivistInnen. In der Bundesrepublik haben sie im Kern etwa 300 AktivistInnen.
Die Feindbilder der Identitären sind im Grunde dieselben wie in anderen Strömungen der extremen Rechten: Muslime bzw. „der Islam“, Flüchtlinge und in der Konsequenz alle als „Nichtdeutsche“ kategorisierten Personen.
Inhaltlich werden vor allem Schriften der alten „Neuen Rechten“ rezipiert – z.B. Götz Kubitschek, Felix Menzel, ‘Martin Lichtmesz’ alias Martin Semlitsch , aber auch der großrussische Nationalist Alexandr Dugin, sowie diverse französische Autoren wie Jean Raspail oder Renaud Camus.
Die „Neue Rechte“ bezieht sich wiederum vor allem auf die Protagonisten der so genannten „Konservativen Revolution“ (KR) – z.B. Carl Schmitt, Ernst Jünger, Oswald Spengler, Moeller van den Bruck, Ernst Niekisch.
LESETIPP: „Zur Renaissance der Europäischen Konservativen Revolution“ von Volkmar Wölk, 2016, kostenlose Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Zum Teil ist diese Bezugnahme bei den Identitären aber eine sehr oberflächliche und findet eher in Form einer Popikonisierung der Gesichter der KR statt oder die Schriften werden eher als Steinbruch für Tshirt-Sprüche verwendet. Es ist fragwürdig ob viele Identitäre die dicken Bücher von Spengler oder van den Bruck tatsächlich gelesen haben.
Die relative Inhaltslosigkeit jenseits von Schlagworten und historischen Ereignissen als Projektionsfläche (Schlacht bei den Thermophylen, zweimalige Belagerung von Wien, Reconquista usw.) führen möglicherweise zu einer geringen, inhaltlichen Bindekraft über die Gruppe als Freundeskreis hinaus.
Ein Hinweis darauf wäre, dass die IB-Ortsgruppe Mittlerer Neckar zur Konkurrenz vom „Bund deutscher Patrioten“ übergelaufen ist.
Mit einem eigenen Zeichen, dem griechischen Buchstaben Lambda, gelang es den Identitären eine eigene Marke zu kreiren. Dasselbe gilt für das unbelastete Wort „Identität“, Dieses dient der IB als Containerbegriff für kulturalistisch-, aber auch biologistisch-rassistische Selbst- und Fremdzuordnungen.
Identitäre Netzwerke in Baden-Württemberg
Eine indirekte Vorgängergruppierung der IB im Südwesten stellte die „Konservative Aktion Stuttgart“ (KAS) dar, die sich 2009 herausbildete.
Ein interner Newsletter der KAS umfasste 2012 über 60 Namen, darunter auch alte Bekannte von der NPD oder den Republikanern. Ein anderer Teil der KAS kam aus dem korporierten Milieu.
In den Jahren 2010 bis 2012 war die KAS verantwortlich für Störungen linker Veranstaltungen und der FDP. An sich waren diese Aktionen wenig spektakulär, aber sie wurden im Nachgang als spektakulär inszeniert. Darin folgte man der namensverwandten „konservativ-subversiven aktion“, einem kleinen Trupp um den Reserveoffizier und neurechten Vordenker Götz Kubitschek. Dass die KAS gleichzeitig 2011 bis 2013 Vorträge veranstaltete und einen eigenen Theorie-Lesekreis unterhielt, blieb dagegen unbeachtet.
Später wurde es ruhig um die KAS und gleichzeitig tauchte mit dem Eintreffen des Identitären-Hypes in Deutschlands das Lambda-Logo auch bei der KAS auf.
Im Internet veröffentlichte Gruppen-Bilder der Identitären in Stuttgart belegen, dass u.a. der KAS-Ansprechpartner Simon Müller zu der Zeit auch bei den Identitären aktiv war.
Der erste identitäre Hype ab Ende 2012 kam nach ein paar Monaten wieder zum Erliegen. Nachdem diverse identitäre Facebook-Gruppen auch für Orte in Baden-Württemberg auftauchten, schliefen viele dieser Gruppen aber wieder ein. Vermutlich waren es im Kern häufig nur Ein-Personen-Gruppen.
Im Jahr 2015 setzte eine Neuorganisation ein. Offenbar orientierte man sich stärker am französischen Original, indem man dessen Regionalismus übernahm. So sind die Identitären in Baden-Württemberg aufgeteilt in die Regionen Baden, Schwaben (inklusive des bayrischen Teils) und einen kleinen Teil der Identitären-Region Franken.
Laut der IB-Internet-Präsenz gibt es folgende identitäre Ortsgruppen im Südwesten:
– in dem Teil der IB-Franken, welcher Baden-Württemberg umfasst: Hohenlohe
– in der IB-Region Baden: Karlsruhe, Mannheim, Heidelberg, Freiburg, Rhein-Neckar
– in dem Teil der IB-Region Schwaben, welcher Baden-Württemberg umfasst: Zollernalb, Rottweil, Tübingen, Ulm, Heilbronn, Rems-Murr, Mittlerer Neckar bzw. Esslingen, Sigmaringen, Bodensee/Friedrichshafen, Ostalbkreis
Die heute weitgehend inaktive IB-Gruppe in Ellwangen schloss sich der offen neonazistischen Abspaltung unter Melanie Dittmer an.
Ein größerer Teil der baden-württembergischen IB-Ortsgruppen sind in der Initiative „Ein Prozent für Deutschland“ vernetzt.
In ganz Baden-Württemberg gibt es etwa um die 10 identitäre Ortsgruppen. Unklar ist wie groß diese Ortsgruppen in der Regel sind. Für Bilder werden häufig nur die vorzeigbaren, jüngeren AktivistInnen präsentiert. Aus anderen Teilen der Bundesrepublik wird jedenfalls von einem starken Anstieg der Beteiligung an Identitären Stammtischen berichtet.
Allerdings scheint es bei der IB einen Kern an aktiven Reisekadern zu geben, die alle Stammtische ihrer Region besuchen. Damit würde die Beteiligung an einem Stammtisch nur sehr bedingt etwas über die Größe der Ortsgruppe verraten.
Einige dieser offiziell angegebenen Gruppen sind aber inaktiv oder haben möglicherweise nie als Gruppe existiert. So gibt es keine wahrnehmbaren Aktivitäten einer Ortsgruppe in Heilbronn.
Um die Zahl der IB im Kern in Baden-Württemberg zu schätzen, lohnt sich der Blick auf die Beteiligung an der IB-Demonstration am 17. Juni 2017 in Berlin. Beide Regionalgruppen organisierten Resiegruppen. Die IB-Regionalgruppe Baden fuhr mit PKWs an. Bilder zeigen etwa 20 Personen in den grünen Tshirts der IB-Regionalgruppe, die nur echte Mitglieder erhalten.
Die IB-Regionalgruppe Schwaben organisierte dagegen einen eigenen Bus nach Berlin mit etwa 30 Personen. Die meisten trugen aber nicht die weinroten Tshirts, die sie als echte Mitglieder ausweisen.
So liegt das Mobilisierungspotenzial der IB in Baden-Württemberg über 50 Personen, aber unter 100.
Die wichtigen ProtagonistInnen der IB in Baden-Württemberg sind bis heute zum Teil nicht bekannt bekannt. Markus A., Jahrgang 1965, aus Stuttgart gilt als Stuttgarter „Regionalleiter“ der Identitären und soll bis Herbst 2014 „Leiter“ der IB Schwaben gewesen sein.
Ein Michael W. aus Mannhein fungierte als Anmelder der Identitären-Demo im bayrischen Freilassing am 27. Februar 2016.
IB als Geburtshelferin des JA-Landesverbandes?
Interessant sind die Überschneidungen von IB und der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA). Nach einem Bericht der „Autonomen Antifa Freiburg“ wurde der JA-Landesverband gezielt von Aktivisten der IB gegründet. So soll Moritz Brodbeck, genannt „Momo“, der stellv. Landesvorsitzender Baden-Württemberg der „Jungen Alternative“, in der „Identitären Bewegung Tübingen“ aktiv gewesen sein.
Als deutlicher Hinweis für die personellen Überschneidungen kann auch die Beteiligung von JA-Landesfunktionären am Block der IB bei der „Demo für alle“ gesehen werden. An dem IB-Block auf der Stuttgarter „Demo für alle“ am 28. Februar 2016 beteiligten sich u.a. die AfD-/JA-Funktionäre Dubravko Mandic und Daniel Lindenschmid.
Seit Juli 2016 existiert zwar ein offizieller Abgrenzungsbeschluss der JA als Reaktion darauf, dass die IB durch den Inlandsgeheimdienst („Verfassungsschutz“) beobachtet wird. Ein genauerer Blick offenbart aber, dass die Abgrenzung lediglich IB-FunktionärInnen betrifft und auch nicht rückwirkend angewandt wird. Das JA-Mitglieder an IB-Veranstaltungen teilnehmen, z.B. Mandic an der IB-Demo am 11. Juni 2016 in Wien, blieb bisher auch ohne Konsequenzen.
Es scheint sich eine Art von Arbeitsteilung zu etablieren. Die IB macht Aktionen, die die AfD und die JA sich nicht leisten können, wenn sie auch ein bürgerliches Klientel ansprechen wollen. Die Feindbilder aber sind dieselben.
Fazit: Populär durch Popkultur
Das Aktionsschema der IB ähnelt dem der Konkurrenz, z.B. von der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“: Flyerverteilen („Stoppt den großen Austausch“), Transparent-Aufhängen, Sprühschablonen und – ganz wichtig – die pathetisch inszenierte Berichterstattung.
Im Gegensatz zur neonazistischen Konkurrenz wird aber auf Gewalt als Mittel verzichtet. Trotzdem inszeniert man sich als „wehrbereit“, auch Kampfsport-Training gehört zum festen Programm.
Derzeit sind die Identitären als Form extrem rechter Organisierung beliebt. Die an die Popkultur angelehnte Ästhetik spricht Jugendliche sicher mehr an, als die belastete Stahlhelm- und Reichskriegsflaggen-Ästhetik.